Grüner Wasserstoff als Schlüsselelement der Dekarbonisierung
Wasserstoff wird oft als das "fehlende Puzzlestück" der Energiewende bezeichnet. Als vielseitiger Energieträger mit hoher Energiedichte und ohne direkte CO₂-Emissionen bei der Nutzung bietet er großes Potenzial für die Dekarbonisierung verschiedener Wirtschaftssektoren. In diesem Artikel betrachten wir die Rolle von Wasserstoff in der deutschen und europäischen Energiewende sowie aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen.
Was ist grüner Wasserstoff?
Nicht jeder Wasserstoff ist klimafreundlich. Je nach Herstellungsverfahren unterscheidet man:
- Grüner Wasserstoff: Hergestellt durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien. CO₂-neutral und das Ziel für eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft.
- Blauer Wasserstoff: Aus Erdgas gewonnen, wobei das entstehende CO₂ abgeschieden und gespeichert wird (CCS-Technologie).
- Grauer Wasserstoff: Konventionell aus fossilen Brennstoffen ohne CO₂-Abscheidung hergestellt. Verursacht erhebliche Emissionen.
- Türkiser Wasserstoff: Durch thermische Spaltung von Methan (Pyrolyse) erzeugt, wobei fester Kohlenstoff statt CO₂ entsteht.
Für die Klimaneutralität ist langfristig nur grüner Wasserstoff relevant, wobei blauer Wasserstoff als Übergangslösung diskutiert wird.
Die deutsche Wasserstoffstrategie
Die Bundesregierung hat im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet und sieht darin einen zentralen Baustein für das Erreichen der Klimaziele. Bis 2030 sollen Elektrolyseanlagen mit einer Gesamtleistung von 5 Gigawatt in Deutschland entstehen, was einer Produktion von etwa 14 TWh grünem Wasserstoff pro Jahr entspricht.
Dafür wurden Investitionen in Höhe von 9 Milliarden Euro angekündigt. Damit bekennt sich Deutschland klar zu einer führenden Rolle in der Wasserstofftechnologie. Die Strategie wurde im Rahmen des "Klimaschutz Sofortprogramms 2022" noch einmal geschärft, mit dem Ziel einer Elektrolyseleistung von 10 GW bis 2030.
Anwendungsgebiete für Wasserstoff
Wasserstoff kann in verschiedenen Sektoren zur Dekarbonisierung beitragen:
Industrie
Wasserstoff kann fossile Brennstoffe in industriellen Hochtemperaturprozessen ersetzen. In der Stahlindustrie kann die Direktreduktion mit Wasserstoff die kohlebasierte Hochofenroute ablösen und so bis zu 95% der CO₂-Emissionen einsparen. Thyssenkrupp und Salzgitter haben bereits entsprechende Pilotprojekte gestartet.
Als Grundstoff für die chemische Industrie kann grüner Wasserstoff zur Herstellung von Ammoniak, Methanol und anderen Basischemikalien verwendet werden. BASF plant beispielsweise bis 2030 seine Ammoniak-Produktion teilweise auf grünen Wasserstoff umzustellen.
Mobilität
Im Verkehrssektor kann Wasserstoff in Brennstoffzellen zur Stromerzeugung für Elektromotoren genutzt werden. Dies bietet sich besonders für schwere Nutzfahrzeuge, Züge und Schiffe an, wo Batterien an ihre Grenzen stoßen.
In Deutschland fahren bereits Wasserstoffzüge auf nichtelektrifizierten Strecken, und mehrere Bundesländer haben Beschaffungsprogramme für Wasserstoffbusse aufgelegt. Im PKW-Bereich konkurriert die Brennstoffzelle mit der Batterie, wobei letztere für die meisten Anwendungen energieeffizienter ist.
Energiespeicherung
Eine der wichtigsten Funktionen von Wasserstoff in einem erneuerbaren Energiesystem könnte die Langzeitspeicherung sein. Überschüssiger Strom aus Wind- und Solarenergie kann in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert werden, um in Zeiten geringer erneuerbarer Erzeugung wieder verstromt zu werden.
Dies könnte insbesondere saisonale Schwankungen ausgleichen – eine Herausforderung, die mit Batterien kaum wirtschaftlich zu lösen ist. Große Salzkavernen in Norddeutschland bieten ideale geologische Bedingungen für die Speicherung größerer Wasserstoffmengen.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Wirtschaftlichkeit
Die Herstellung von grünem Wasserstoff ist derzeit noch 2-3 mal teurer als die von grauem Wasserstoff. Die Kosten für Elektrolyseure müssen durch Skalierung und technologischen Fortschritt sinken, und gleichzeitig muss ausreichend günstiger erneuerbarer Strom verfügbar sein.
Hier setzen verschiedene Förderprogramme an, etwa H2Global, das über Differenzverträge Preisdifferenzen zwischen Angebot und Nachfrage ausgleicht. Zudem wird diskutiert, CO₂-Preise weiter anzuheben, um fossile Alternativen entsprechend zu verteuern.
Infrastruktur
Für eine Wasserstoffwirtschaft wird eine umfassende Infrastruktur benötigt. Die FNB Gas, ein Zusammenschluss deutscher Fernleitungsnetzbetreiber, plant bis 2030 den Aufbau eines 5.900 Kilometer langen Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland, teilweise durch Umrüstung bestehender Erdgasleitungen.
Auf europäischer Ebene wird das European Hydrogen Backbone entwickelt – ein Wasserstoffnetz, das bis 2040 auf 39.700 Kilometer anwachsen und 21 europäische Länder verbinden soll.
Internationale Partnerschaften
Deutschland wird auch langfristig einen Großteil seines Wasserstoffbedarfs importieren müssen, da die inländischen Potenziale für erneuerbaren Strom begrenzt sind. Daher hat die Bundesregierung bereits Wasserstoffpartnerschaften mit Ländern wie Namibia, Australien, Chile und Marokko geschlossen.
Diese Länder verfügen über ideale Bedingungen für die kostengünstige Produktion von grünem Wasserstoff durch hohe Solar- und Windpotenziale. Der Transport kann per Schiff in Form von Ammoniak, LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carriers) oder perspektivisch als flüssiger Wasserstoff erfolgen.
Wasserstoff-Projekte in Deutschland
In Deutschland entstehen bereits zahlreiche Wasserstoffprojekte:
- Das Projekt "Westküste100" in Schleswig-Holstein kombiniert Offshore-Windenergie mit einer 30-MW-Elektrolyse und industrieller Nutzung.
- Im Industriepark "HyBit" im brandenburgischen Schwarze Pumpe wird ein 10-MW-Elektrolyseur mit regionaler Wasserstoffnutzung verbunden.
- Das "H2-Netz" im Ruhrgebiet soll Wasserstoff zwischen industriellen Erzeugern und Abnehmern transportieren.
- MPREIS errichtet in Tirol eine der größten grünen Wasserstoffproduktionsanlagen im Alpenraum.
Fazit und Ausblick
Wasserstoff wird ein zentrales Element der Energiewende sein, insbesondere für schwer zu elektrifizierende Sektoren. Deutschland positioniert sich mit seiner Wasserstoffstrategie und zahlreichen Pionier-Projekten an der Spitze dieser Entwicklung.
Die größten Herausforderungen bleiben die Skalierung der Technologie, der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und die Kostensenkung. Bis 2030 werden wir voraussichtlich den Übergang von Pilot- und Demonstrationsprojekten zu industriellen Anwendungen in größerem Maßstab erleben.
Wasserstoff allein wird die Energiewende nicht bewältigen – er ist ein wichtiger Baustein in einem System, das primär auf direkter Elektrifizierung und Effizienzsteigerung basieren wird. Wo immer möglich, bleibt die direkte Nutzung von erneuerbarem Strom die effizientere Option. Doch für die verbleibenden Bereiche könnte Wasserstoff der Schlüssel zur vollständigen Dekarbonisierung sein.
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